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So funktioniert der europäische Strommarkt
Ein Überblick über Marktplätze und Akteure

Strom, der bei Bedarf jederzeit aus der Steckdose fließt, und ein Gasanschluss direkt im Haus: Das ist für die meisten Menschen in Europa selbstverständlich. Doch bevor die Energie beim Endverbraucher ankommt, durchläuft sie einen komplexen Marktprozess. In der europäischen Union gibt es einen eigenen Binnenmarkt für Energie, auf dem feste Regeln gelten. In einer neuen Miniserie beleuchtet der en:former, wie der Handel und die Preisbildung funktioniert. Los geht es mit dem Strommarkt.

Um die heutigen Marktmechanismen besser zu verstehen, hilft zunächst ein Blick in die Vergangenheit: In den 1990er-Jahren hatten die Elektrizitätsmärkte einen starken nationalen Fokus und wenige  Akteure, die in einem recht starren Prozess den Strombedarf ermittelten und die Preise festlegten. Kurz vor der Jahrtausendwende beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten, das System Schritt für Schritt zu liberalisieren.

Die Grundregeln

Eine ganze Reihe Richtlinien und Verordnungen wurde seitdem bereits verabschiedet. Zu den wichtigsten Neuerungen gehören die Trennung von Stromerzeugung, -transport und -vertrieb, die Ausweitung des gemeinsamen europäischen Marktes und die Einführung von marktgestützten Grundsätzen wie der Preisbildung anhand von Angebot und Nachfrage.

So ist ein echter Wettbewerb entstanden und Verbraucher können aus einer Vielzahl von Anbietern wählen. In Zusammenhang mit dem „European Green Deal“ sollen außerdem weitere Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren Energien geschaffen werden. Im Mai 2024 verabschiedete die EU eine neue Strommarktreform.

Die Akteure

Inzwischen sind viele unterschiedliche Akteure am Markt beteiligt. Sie alle tragen dazu bei, dass überall und jederzeit Strom verfügbar ist:

Stromerzeuger

Erzeuger sind in der Regel die Betreiber von Kraftwerken oder Erneuerbaren-Anlagen. Sie verkaufen den von ihnen produzierten Strom entweder „Over the counter“ („Über die Ladentheke“, kurz: OTC-Handel), also direkt an Großabnehmer wie Industriebetriebe oder Energieversorger. Dazu kommen die Geschäftspartner oft über Broker zusammen. Verschiedene Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, Verträge zwischen Erzeugern und Abnehmern zu vermitteln. Meist läuft das Geschäft über Online-Plattformen. Neben dem OTC-Handel gibt es Strombörsen wie die EEX in Leipzig.

Broker/Direktvermarkter

Obwohl der Vorgang „Direktvermarktung“ heißt, übertragen viele Erzeugungsunternehmen den Börsenhandel an einen Zwischenhändler, sogenannte „Direktvermarkter“. Diese platzieren den Strom für die Erzeuger an der Börse und erhalten dafür eine Provision ein.

Übertragungsnetzbetreiber

Die Übertragungsnetze dienen dem überregionalen Transport großer Strommengen über Hochspannungsleitungen mit bis zu 440 Kilovolt. Sie versorgen die Mittel- und Niederspannungsnetze der Verteilnetzbetreiber sowie einzelne Großkunden wie Chemieparks oder Aluminiumwerke mit Strom.

Versorgungsunternehmen

Den Endverbraucher mit Strom versorgen: Das ist die Aufgabe von Versorgungsunternehmen. Oft handelt es sich dabei um Stadtwerke, die auch die regionalen Mittel- und Niederspannungsnetz betreiben, über das sie die Elektrizität an die Endverbraucher verteilen. Seit der Liberalisierung der Märkte muss der Versorger aber nicht mehr zwingend der Verteilnetzbetreiber sein.

Verbraucher

Durch die Neuordnung nehmen die Endverbraucher eine wichtigere Rolle ein: Weil auch Privatkunden selbst den Stromanbieter wählen können, tragen sie indirekt zur Preisbildung bei. Seit der neuesten Reform können sie zudem wählen zwischen Verträgen mit festen oder variablen, am Markt orientierten Preisen.

Die Preisbildung

Der Strompreis variiert auf den verschiedenen Vertriebsstufen je nach dem nationalen Marktmodell und setzt sich in den EU-Mitgliedsstaaten aus verschiedenen Abgaben, Entgelten und Gebühren zusammen. Erzeuger und Versorgungsunternehmen können nur einen geringen Anteil des Preises beeinflussen, indem sie Produktionskosten oder Verwaltungsaufwand reduzierten oder an der Börse zu günstigen Konditionen einkauften.

So setzte sich der Strompreis für Haushalte und Industrie 2023 in Deutschland zusammen

in Cent/kWh, Quelle: bdew

„Energy-Only“- und Kapazitätsmarkt

Obwohl die EU einen gemeinsamen Energiebinnenmarkt hat, folgen die nationalen Märkte der Mitgliedsstaaten unterschiedlichen Regeln. Dabei stehen sich zwei Systeme konzeptionell gegenüber: Der „Energy-Only-Markt“ (EOM), der zum Beispiel in Deutschland in den späten 1990er-Jahren eingeführt wurde, und der „Kapazitätsmarkt“, auf den etwa Frankreich seit 2017 setzt. Großbritannien, inzwischen nicht mehr EU-Mitglied, nutzt das System schon länger.

Auf dem EOM können zumindest im kurzfristigen OTC- und Börsenhandel nur tatsächlich erzeugte Strommengen gehandelt werden. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigt der Preis. Das System führt so dazu, dass Arten der Stromerzeugung mit niedrigen Grenzkosten wie Solarenergie oder Windkraft bevorzugt werden. Erst, wenn sie weniger Strom produzieren, als nachgefragt wird, werden weitere Energiequellen zugeschaltet. Spitzenlastkraftwerke, die vor allem fossile Brennstoffe wie Kohle und Gas nutzen, gehen bei diesem Marktdesign im Falle eines Versorgungsengpasses zuletzt ans Netz. Sie liefern dann die stark nachgefragte Elektrizität zu sehr hohen Preisen. Das Prinzip, dass Anlagen, die durchgehend günstigen Strom liefern, als erstes zugeschaltet werden, wird auch als Merit-Order bezeichnet.

Auf einem Kapazitätsmarkt wird hingegen mit Produktionsgarantien (Frankreich) oder verfügbare Kapazitäten (Großbritannien) gehandelt. Großhändler kaufen Zertifikate, mit denen Produzenten ihnen zusichern, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine festgelegte Menge Strom liefern zu können – und zwar unabhängig davon, ob der Käufer diese am Ende abnimmt oder nicht.

Das System verspricht eine höhere Versorgungssicherheit und bietet Betreibern von großen Kraftwerken Planungssicherheit, denn sie erhalten auch eine Vergütung, wenn die Anlagen nicht laufen. Allerdings besteht dadurch auch die Gefahr, dass Überkapazitäten geschaffen werden. Im Gegensatz dazu muss im EOM das Preissignal an den Börsen ausreichen, damit vielleicht benötigte Kapazitäten gebaut werden. Ist die Unsicherheit bei den Erzeugern zu groß, werden Investitionen unter Umständen nicht getätigt. Dies ist insbesondere im Hinblick auf den gleichzeitigen Ausstieg aus Kernenergie und Kohle in Deutschland relevant.

Termin- und Spotmarkt

Ein Großteil des Stroms wird bereits verkauft, bevor er erzeugt wurde. Am Terminmarkt werden Lieferverträge für Monate, Quartale und Jahre geschlossen. Sowohl Stromversorger und Großverbraucher als auch Erzeuger versprechen sich davon eine bessere Planbarkeit der Energiekosten einerseits und der Einnahmen andererseits. Aufgrund der hohen Preisdynamik wird so quasi jede Kilowattstunde Strom mehrfach hin- und hergehandelt, bevor sie beim Verbraucher ankommt. Solche Geschäfte laufen fast alle im OTC-Handel, stehen also nicht im Widerspruch zum EOM-Design.

Am Spotmarkt hingegen werden Strommengen für den Folgetag für den Zeitraum von einer Viertelstunde oder einer Stunde gehandelt. Auf Basis von Last- und Erzeugungsprognosen kann so die Stromversorgung noch kurzfristig optimiert werden. Dieser Handel erfolgt vor allem an Strombörsen. Dort ist der Preisspielraum sehr viel kleiner, da alle Parameter wie ungefähre Nachfrage, CO2-Preis und Einspeisung durch Erneuerbare bekannt sind. Außerdem sind nur Akteure beteiligt, die auch physisch Verträge erfüllen können – also beispielsweise keine Banken und Spekulanten. So kann es sich für Erzeuger sogar lohnen, bereits über Terminkontrakte verkaufte Energie zurückzukaufen und teurer am Spotmarkt zu verkaufen.

Um auf sehr kurzfristige Schwankungen reagieren zu können – zum Beispiel, wenn Windkraft- und Solaranlagen weniger Strom produzieren als erwartet oder ein Kraftwerk plötzlich ausfällt – gibt es darüber hinaus den Intraday-Markt. Auf den entsprechenden Handelsplätzen an der Strombörse können noch fünf Minuten vor Lieferung Geschäfte getätigt werden.

Verbraucherschutz im Krisenfall

Im Rahmen der Strommarktreform im Jahr 2024 hat die EU Regeln verabschiedet, die Verbraucher bei Energiekrisen vor sehr hohen Strompreisen schützen sollen. So sollen die Mitgliedsstaaten dann etwa die Preise für Menschen senken, die besonders stark unter der Krise leiden. Außerdem gelten künftig strengere Vorgaben, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sichern. Dazu erhält die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) umfassendere Befugnisse.

Als zusätzliche Sicherheit für die Stabilität der Stromversorgung gibt es den Regelenergiemarkt. Dort werden Energiereserven vorgehalten, die bei Bedarf von den ÜNB auktioniert und innerhalb von Sekunden abgerufen werden können. Mehr dazu erfahren Sie in den nächsten Folgen unserer Serie.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde im Juli 2024 aktualisiert.

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