Am 9. März dieses Jahres nahm der britisch-niederländische Ölkonzern Shell die nach Unternehmensangaben erste klimaneutrale Ladung an Flüssigerdgas (auf Englisch: Liquefied Natural Gas – LNG) (Link auf Englisch) vom russischen Gasriesen Gazprom in Europa entgegen, entladen wurde es am Dragon LNG-Terminal in Großbritannien.
Diese Lieferung steht exemplarisch für die wachsende Nachfrage nach kohlenstoffarmen Erdgas von der Käuferseite. Ein weiteres Beispiel für diesen Trend: Die Entscheidung des französischen Energieunternehmens Engie im vergangenen Jahr, eine große Abnahmevereinbarung mit dem US-LNG-Entwickler NextDecade zu verschieben. Das Unternehmen würde mit seiner Entscheidung warten, bis es die von NextDecade geplante Rio Grande Flüssigerdgas-Anlage einer genaueren Prüfung unterzog, teilte Engie mit.
Diese Beispiele sind keine Einzelfälle. Flüssigerdgas-Produzenten suchen verstärkt nach Möglichkeiten, die Umweltauswirkungen des Brennstoffs zu reduzieren. So gab im Oktober der französische Öl- und Gaskonzern Total bekannt, dass er eine erste klimaneutrale Flüssigerdgas-Ladung aus seiner Ichthys Flüssigerdgas-Anlage(Link auf Englisch) in Australien ausgeliefert hat.
Doch wie wird LNG, das in der Regel aufwendig konventionell oder mithilfe von Fracking aus dem Erdboden gefördert und mit viel Energieeinsatz verflüssigt wird, indem auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt wird, überhaupt ein sogenannter klimaneutraler Brennstoff? In den beiden genannten Fällen (Shell-Gazprom und Total) wurde die Klimaneutralität der Lieferung durch Kompensationsmaßnahmen erreicht – und zwar, indem die Unternehmen in ein Windkraftprojekt in China sowie in das Kariba REDD+ Waldschutzprojekts in Simbabwe investiert haben. Durch diese Investitionen erwarben sie verifizierte Emissionszertifikate, die der beim Transport ausgestoßenen Menge Kohlenstoff entsprechen. Dadurch gilt zumindest die Lieferung als klimaneutral.
Bei LNG handelt es sich um auf sehr niedrige Temperaturen gekühltes Erdgas, bzw. Methan (CH4) – ein starkes Treibhausgas. Das Gas wird stark gekühlt, um die Dichte zu erhöhen und damit einen Transport aus Gebieten mit einem großen natürlichen Gasvorkommen zu Regionen mit Gasbedarf, aber nur begrenzter eigener Produktion oder Pipeline-Importkapazitäten zu ermöglichen. Europa ist dafür ein Beispiel: In den Jahren 2018 und 2019 stiegen die Flüssigerdgasimporte massiv in die Höhe.
Auf diese Weise importiertes Erdgas aus der ganzen Welt kann Kohle in der Stromerzeugung ersetzen. Dadurch können Treibhausgasemissionen direkt bei der Verbrennung reduziert werden. Denn Gaskraftwerke verursachen nur halb so viele Treibhausgasemissionen wie kohlebefeuerten Kraftwerke. Und ein weiterer Vorteil: Bei modernen Gas- und Dampfturbinen handelt es sich um flexible Generatoren, die in der Lage sind, die Stromerzeugung flexibel hoch- und runterzufahren und so die Schwankungen von Erneuerbaren Energien wie Solar- und Windenergie aufzufangen. So können weitere Emissionen bei der Nutzung von Flüssigerdgas eingespart werden.
Durch LNG können also Treibhausgasemissionen direkt am Kraftwerk und damit in der Stromerzeugung eingespart werden. Doch natürlich verursacht LNG Emissionen nicht nur beim Endverbrauch, also bei der Verbrennung, sondern auch ganz Anfang, bei der Förderung des Erdgases. Dabei ist entscheidend, wie und wo das Gas gefördert wird. So hat die Studie „Methan- und CO2-Emissionen aus der Erdgasversorgungskette“ (Link auf Englisch) des Sustainable Gas Institute (SGI) ergeben, dass die Bandbreite der Emissionen sehr groß ist, wenn man die gesamten Lebenszyklusemissionen von Erdgas für die Stromerzeugung berücksichtigt: Sie liegen zwischen 14 und 302 Gramm (g) CO2 pro Kilowattstunde (kWh) erzeugtem Strom. Mit anderen Worten: Einige Gasquellen haben um ein vielfaches niedrigere Emissionsprofile als andere.
Bevor das Gas in ein Gaskraftwerk gelangt, stammen die Hauptemissionsquellen laut der Studie aus Bohrungsprozessen und aus dem Betrieb von pneumatischen Geräten und Kompressoren. Die Studie schätzt die Gesamtemissionen der Erdgasversorgungskette in einem Bereich von 2,7g - 32,8g CO2e (CO2-Äquivalent) pro Megajoule mit einem Mittelwert von etwa 13g.
Um Flüssigerdgas an einem anderen Standort als an der Produktionsquelle zu nutzen, braucht es aber zusätzlich noch eine Verflüssigung, einen Transport an den Nutzungsstandort sowie eine anschließende Regasifizierung. Dies hebt den Mittelwert auf etwa 18g an, wobei der Verflüssigungsprozess den größten Anteil an den Emissionen hat.
Bei der Reduzierung von Emissionen in der Lieferkette von Flüssigerdgas sind die Kompressoren, die zur Verflüssigung von Erdgas eingesetzt werden, in den Blick gerückt. Diese verbrauchen eine große Menge an Energie und werden standardmäßig mit Gas angetrieben – da das Gas bereits vor Ort verfügbar ist, eine naheliegende Lösung. Eine mögliche Verbesserung wäre die Erhöhung des Wirkungsgrads der Kompressoren, zum Beispiel durch eine Verbesserung der aerodynamischen Strömung des Gases. Dadurch wird die Energiezufuhr und damit die Emissionen reduziert und die Ausgabe von Flüssigerdgas erhöht.
Doch einige Entwickler gehen noch weiter: Sie planen den Einsatz vollelektrischer Motorantriebe für die Kompressoren, Pumpen und Ventilatoren. Der US-amerikanische Ölkonzern Chevron schätzte im Juli 2019, dass der Einsatz elektrischer Antriebe in seiner geplanten Kitimat Flüssigerdgas-Anlage in Kanada Treibhausgasemissionen auf weniger als 0,1 Tonnen Kohlenstoff pro produzierte Tonne Flüssigerdgas reduzieren kann. Auch ein von Shell geleitetes Projekt in Kanada will elektrische Antriebe verwenden und den Großteil des benötigten Stroms aus lokaler Wasserkraft beziehen. Dadurch soll eine Intensität von 0,15 Tonnen CO2 pro Tonne produziertes Flüssigerdgas erreicht werden. Dies würde unter dem Grenzwert von 0,16 liegen, der von der kanadischen Provinz British Columbia, in der die Anlage entwickelt wird, festgelegt wurde. Läge der Wert höher müsste das Projekt eine zusätzliche Kohlenstoffsteuer bezahlen.
NextDecade arbeitet derweil an Plänen, die es ermöglichen sollen, die Treibhausgasemissionen ihres Rio Grande-Projekts um etwa 90 Prozent zu reduzieren (Link in Englisch). Das Unternehmen kündigte an, dass es Optionen prüft, um auch die verbleibenden zehn Prozent noch zu senken. Die von ihnen vorgeschlagene Schlüsseltechnologie für dieses Vorhaben ist die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS – carbon capture and storage). Quatar Petroleum will ebenfalls den Weg der Kohlenstoffabscheidung beschreiten (Link in Englisch). Das Unternehmen kündigte im Februar 2021 an, dass sein North Field Expansion Projekt CCS-Technologien einbeziehen wird. Außerdem planen sie Erneuerbare Energien aus dem nationalen Netz von Katar sowie aus eigenen Solaranlagen zu beziehen.
Diese Projekte zeigen, dass es bei der großen Spannbreite, die der SGI-Bericht bei den Emissionsprofilen identifiziert hat, noch viel Spielraum zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen gibt. Gleichzeitig operieren auch die Käufer von Flüssigerdgas in Europa hauptsächlich in Ländern, die sich strenge und ehrgeizige Klimaziele gesetzt haben. Dies sollte eine Nachfrage nach kohlenstoffärmeren Flüssigerdgas schaffen, wodurch wiederum Produzenten angeregt werden, bestmögliche Verfahren zur Reduzierung von Treibhausgasen zu entwickeln. Ein niedriger CO2-Fußabdruck wird zu einem wichtigen Verkaufsargument für ihre Produkte werden.