Deutschland ist Exportmeister – auch bei der Elektrizität. Im Januar 2019 erzielte Deutschland einen Rekordüberschuss von 7,2 Terrawattstunden (TWh) – das waren 13 Prozent mehr als im bisherigen Rekordmonat Januar 2016, hat Bruno Burger, Experte für Energiesystemtechnik vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, errechnet. Für die „Energy Charts“ berechnet er jeden Monat die Energieflüsse zwischen den EU-Ländern.
Die größte Menge floss nach Burgers Aufzeichnungen – teils über Österreich – in die Schweiz. Allerdings leiteten die Eidgenossen ihrerseits den größten Teil der eingeführten Leistung weiter nach Italien. An zweiter Stelle folgte Österreich, das seinerseits viel Strom nach Ungarn und Slowenien transportierte. Und auch Belgien und Großbritannien bezogen – via Niederlande – einen beträchtlichen Teil des deutschen Stroms. „Deutschland erzielte im Januar einen Exportüberschuss an alle Nachbarländer außer nach Schweden“, sagt Burger. Mit den Skandinaviern sei die Bilanz nahezu ausgeglichen gewesen.
Ein neues Phänomen ist das nicht. Bereits seit einigen Jahren exportiert Deutschland zwischen 11 und 15 Prozent des erzeugten Stroms in Nachbarländer. In der Summe ist das mehr Leistung als Frankreich mit seiner großen Kernkraftwerksflotte exportiert. Und auch die Zielländer sind tendenziell die gleichen: Mehr als die Hälfte der deutschen Stromlieferungen gehen regelmäßig in drei Länder: Schweiz, Österreich und Niederlande. Allerdings verbrauchen diese Länder nur einen kleinen Teil davon selbst.
Vor allem Italien und Belgien, aber auch Großbritannien und einige osteuropäische Länder profitieren von deutschen Stromimporten. Deutschland selbst bezieht stundenweise Strom aus den Pumpspeicherkraftwerken der Alpenländer, um akute Engpässe zu überbrücken. Strom aus deutschen Windparks fließt teilweise über Polen und Tschechien nach Süddeutschland.
Trotz des „Reimports“ ist die deutsche Stromhandelsbilanz deutlich positiv: Sieben Jahre hintereinander ist der Exportüberschuss – also die Differenz zwischen Aus- und Einfuhren gestiegen – um durchschnittlich fast 44 Prozent pro Jahr: von knapp 6 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2011 auf fast 53 TWh 2017. Erst 2018 ist der Außenhandelssaldo erstmals wieder gesunken – um gut 7 Prozent auf 49 TWh.
Wie geht es nun weiter mit den deutschen Stromexporten? „Das ist schwer zu sagen“, resümiert Fraunhofer-Forscher Burger. Er nennt eine Reihe von Faktoren, die er für wichtig hält: die Konjunktur in Europa, die Verfügbarkeit von Kraftwerken im Ausland und auch das Ende der Kohleverstromung in Deutschland. Die Kapazität der Kohlekraftwerke sinkt zwar seit Jahren deutlich, weil sie sukzessive in die Sicherheitsbereitschaft überführt werden oder marktgetrieben ausscheiden. Der Anteil an der Produktion – zumindest von Braunkohle – ist aber nur moderat zurückgegangen. Und das trägt dazu bei, dass die deutschen Großhandelspreise zu den niedrigsten der EU gehören. Kritiker leiten daraus ab, dass der deutsche Exportüberschuss klimaschädlich sei.
Ein Sprecher des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW sagte dem en:former dazu: „Welcher Strom über die Grenze fließt ist letztlich nicht nachzuweisen.“ Richtig sei, dass die Höhe der Exporte maßgeblich vom Großhandelspreis abhänge: „Der Großhandelspreis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Und auf der Angebotsseite sind vor allem die Grenzkosten entscheidend.“
Als Grenzkosten bezeichnet man die Kosten, die für jede zusätzlich erzeugte Kilowattstunde anfallen. Sie hängen also maßgeblich vom Preis der Primärenergieträger ab. Bei konventionellen Kraftwerken sind das Rohstoffe wie Gas und Kohle, bei Wind- und Sonnenstrom sind es – genau: Wind und Sonne. „Die niedrigsten Grenzkosten haben also Windkraft- und Solarparks“, sagt der BDEW-Sprecher. „Insofern findet der – verglichen etwa mit Strom aus Gaskraftwerken – preiswerte Kohlestrom vor allem dann Abnehmer, wenn Wind und Sonne keinen Strom produzieren.“
Nun war gerade der Januar 2019 mit 15,1 TWh Windstrom der zweitstärkste Windkraftmonat überhaupt. Aus Braunkohle wurden 9,9 TWh Strom erzeugt, was für einen Januar wenig ist. Richtig ist aber auch, dass Windkraft praktisch immer produziert wird, sobald es möglich ist. Kohlestrom dagegen wird dann produziert, wenn er Abnehmer findet.
Der Export erhöht die Abnehmerzahl immer dann, wenn die Börsenstrompreise in Deutschland niedriger sind als im Ausland. Insofern überrascht es nicht, dass der Rekordsaldo wieder in einen Januar fällt. Gerade in südlichen Ländern überbrücken viele Haushalte die wenigen kalten Tage des Jahres mit – relativ teuren – Stromheizungen. Dass sie in dieser Situation lieber Elektrizität preiswert aus Deutschland importieren, anstatt ihre Gaskraftwerke hochzufahren, ist verständlich.
Besser für das Klima, argumentiert Burger, wäre aber wohl Letzteres gewesen, weil Gas bei der Verstromung weniger CO2 ausstößt als Braunkohle. Allerdings weiß auch Burger, dass die freiwerdenden Emissionszertifikate gehandelt und für andere Zwecke hätten verbraucht werden können. „Es sind eben einfach zu viele Zertifikate im Umlauf“, sagt er.
Allerdings hat die EU bereits eine Reduktion der Emissionszertifikate beschlossen. Daraufhin ist ihr Preis von Mitte 2017 bis Mitte 2018 von etwa fünf auf mehr als 20 Euro gestiegen.
„Dem Erreichen der Klimaziele ist das zuträglich“, stimmt der BDEW-Sprecher zu. Die Emissionszertifikate noch weiter zu verknappen, sieht der Sprecher jedoch kritisch. Dann nämlich würden weitere konventionelle Kraftwerke unrentabel. Und möglicherweise würden sie dann noch schneller vom Netz genommen werden, als es das gerade vorgelegte Ergebnis der „Kohlekommission“ vorsieht.
Für die Stromversorgung in Deutschland und seinen Nachbarländern könnte das eine Herausforderung werden, zumal derzeit mehrere europäische Länder ihre gesicherte Leistung reduzieren.
Einig sind sich beide Experten darin, dass der internationale Handel eine tragende Rolle dabei spielen muss, Elektrizität rund um die Uhr, flächendeckend und zu den günstigsten Preisen bereitzustellen. Versorgungssicherheit, so der Tenor, sei nicht als nationale Aufgabe zu verstehen. Wer dabei die Überschüsse erzielt, sei sekundär. Allerdings schränkt der BDEW-Sprecher ein: „Handel allein kann keine Versorgungssicherheit herstellen. Insbesondere ein Industriestandort wie Deutschland muss sich im Zweifelsfall selbst mit ausreichend Energie versorgen können.“
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