Der Ausbau von Europas Infrastruktur für verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG) schreitet schneller voran denn je. Allerdings zeigen neueste Studien, dass LNG nicht automatisch zur Reduzierung von Treibhausgasen führt. Zur Realisierung messbarer Erfolge müssen entlang der gesamten LNG-Lieferkette die branchenweit besten Praktiken umgesetzt werden. Denn die Emissionseinsparungen mithilfe von LNG allein werden nicht ausreichen, um die Klimaziele der EU zu erreichen.
NGV Global, der Weltverband für mit Erdgas getriebene Fahrzeuge, gab im Mai die Eröffnung der 200. LNG-Tankstelle in Europa bekannt: ein Erfolg in der Verbreitung des Treibstoffes im Straßenverkehr. Genauso wie der flächendeckende Zugang zu Ladesäulen für den Umstieg auf elektrische Fahrzeuge unabdingbar ist, so ist ein Netzwerk von LNG-Tankstellen notwendig, um den Einsatz von LNG im Straßenverkehr zu fördern. Daten der NGV zufolge hat sich die Anzahl an LNG-Tankstellen bis Ende 2017 verdoppelt.
Vorreiter sind Italien und Spanien mit 48 bzw. 40 Tankstellen, gefolgt von Frankreich (31) und den Niederlanden (24). Die in diesen Ländern bestehenden LNG-Importterminals scheinen die Entwicklung zu befördern. Zum Vergleich: Deutschland hat lediglich vier LNG-Tankstellen. Allerdings könnte sich das in Zukunft ändern, wenn die Pläne für LNG-Terminal umgesetzt werden.
LNG ist besonders für den Schwerlastverkehr interessant. Denn Batterieantriebe für LKW werden auch in Zukunft keine Alternative sein. LNG-LKW werden dagegen von etablierten Herstellern wie Volvo oder Scania schon heute angeboten. Für Logistik-Unternehmen stellen Kosteneinsparungen – größtenteils infolge von Steuervergünstigungen – einen großen Anreiz dar. Der Mindeststeuersatz für LNG in der EU liegt bei 2,6 Prozent im Vergleich zu 9,2 Prozent für Diesel. Allerdings klafft die Steuerschere in den meisten EU-Mitgliedsstaaten noch weiter auseinander.
LNG wird staatlich gefördert, weil der Kraftstoff weniger CO2-, Stick- und Schwefeloxid-Emissionen als Diesel produziert. Der Lieferverkehr ist besonders problematisch, da Nutzfahrzeuge viel intensiver als PKW genutzt werden, in der Regel größer und schwerer sind und wesentlich schlechtere Verbrauchswerte haben.
Allerdings gibt es seit neuestem erhebliche Zweifel bezüglich des Einsatzes von LNG im Transportbereich. Laut eines im Oktober 2018 vom europäischen Transport- und Umweltverband veröffentlichten Berichts verursachen LNG-LKW über die gesamte Dauer Emissionen, die im Vergleich zu den modernsten Diesel-LKW zwischen -2 und +5 Prozent liegen. Anders ausgedrückt sind LNG-Laster möglicherweise umweltschädlicher als ihre dieselbetriebenen Varianten.
Das Ergebnis einer weiteren Studie, die im Januar vom Sustainable Gas Institute des Imperial College London veröffentlicht wurde, fällt ähnlich, allerdings grundsätzlich positiver aus: Demnach hat der Einsatz von LNG bei LKW das Potenzial, den Gesamtausstoß von Treibhausgasen im Straßenverkehr um 16 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig kommt die Studie zu dem Fazit, dass „die Emissionen von LNG-getrieben Lastkraftwagen über den gesamten Lebenszyklus eventuell die der aktuell modernsten Diesel-LKW übersteigen“.
Zwar stellen Einsparungen von 16 Prozent in einer Branche, die aktuell wenig Alternativen hat, einen merklichen Zugewinn dar. Allerdings schätzt die EU, dass Treibhausgase im Transportbereich bis zur Mitte des Jahrhunderts verglichen mit 1990 um mindestens 60 Prozent gesenkt werden müssen, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen.
Die Leistungsunterschiede basieren auf einer Reihe von Faktoren – von der Energie, die eingesetzt wird, um das LNG herzustellen und zu transportieren bis hin zur Verbrennung von LNG in einem LKW-Motor. Aus den Studien geht die Empfehlung hervor, dass LNG-Produzenten und Nutzer innovative Wege gehen müssen, um Emissionen über den Lebenszyklus entlang der Lieferkette zu verringern. Nur dann kann LNG echte Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel bringen.