Um die einzigartigen Herausforderungen des heimischen Energiesektors bewältigen zu können, hat die taiwanesische Regierung den Ausbau der Offshore-Windkraft als einen wichtigen Teil der Lösung identifiziert und entsprechend priorisiert. Derzeit wird Taiwans Strommix von der Kohleverstromung dominiert. Damit sowohl die Treibhausgasemissionen (THG) als auch die lokale Luftverschmutzung eingedämmt werden, strebt die Regierung jedoch einen stetigen Rückgang des durch Kohle erzeugten Stroms an. 2019 machte dieser Energieträger noch ganze 47 Prozent der taiwanesischen Gesamterzeugung aus. Das soll sich in absehbarer Zeit ändern: Das Land plant, den Kohleanteil am Gesamtstrommix jährlich um einen Prozentpunkt zu senken. Damit einhergehend wurde außerdem der Bau neuer Kohlekraftwerke verboten.
Eine weitere energiepolitische Maßnahme der taiwanesischen Regierung ist der geplante Atomkraft-Ausstieg bis 2025. Zwar unterstützte ein Referendum noch im Jahr 2018 eine Aufhebung der Politik des sogenannten „atomfreien Heimatlandes“ bis 2025 – mit der Wiederwahl der Demokratin Tsai Ing-wen zur Präsidentin in 2020 bleibt das Land dem Ausstieg jedoch weiterhin verpflichtet.
Taiwan besitzt insgesamt drei Atomkraftwerke. Das erste, Jinshan, ist mittlerweile in der Stilllegungsphase. Die beiden anderen, Kuosheng und Maanshan, verfügen nur noch über Betriebslizenzen bis 2023 beziehungsweise 2025. Der Bau eines neuen Kraftwerks, Lungman, wurde im Jahr 2015 ausgesetzt. Aufgrund dieser Entwicklungen wird daher erwartet, dass der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromerzeugung, der 2019 noch bei zwölf Prozent lag, nach 2025 auf null fallen wird.
Seit den 1970er Jahren zeigt die Kurve der taiwanesischen Stromnachfrage steil nach oben. Zwar erlitt dieses Wachstum durch die Covid-19-Pandemie einen kurzen Dämpfer – nichtsdestotrotz stieg die Nachfrage nach dem vom staatlichen Unternehmen Taipower gelieferten Strom von 232,47 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2019 auf 238,93 TWh in 2020.
Noch vor der Pandemie prognostizierte das Energieministerium des Landes, dass die gesamte Stromerzeugung des Landes von 278,3 TWh im Jahr 2019 auf 313,2 TWh im Jahr 2025 steigen würde. In Anbetracht der konstant wachsenden Nachfrage und des gleichzeitigen Rückgangs der Kohle- und Kernenergieverstromung, muss Taiwan nicht nur neue Wege finden, Strom zu erzeugen, sondern vor allem auch neue Quellen und Ressourcen für mehr Erneuerbare ergründen.
Ein verstärkter Einsatz Erneuerbarer Energien hat für das Land in dreifacher Hinsicht Vorteile: Sie mindern die bislang hohe Abhängigkeit von importierten Rohstoffen, sind eine ergiebige Quelle für grünen Strom und schaffen neue Entwicklungsmöglichkeiten für den lokalen Energiesektor. Allerdings: Für eine relativ kleine und dicht besiedelte Insel wie Taiwan sind die Möglichkeiten zum Erneuerbaren-Ausbau begrenzt. So wird zum Beispiel das Wasserkraftpotenzial des Landes bereits gut genutzt und auch die Solarstromerzeugung ist von 0,9 TWh im Jahr 2015 auf 4,1 TWh im Jahr 2019 gestiegen. Doch nicht nur letzteres, sondern auch ein angestrebter Ausbau der Onshore-Windkapazität, die Ende 2019 bei 717 Megawatt (MW) lag, bedarf einer Nutzung großer Landflächen, die es im Zweifel nicht überall gibt.
Infolgedessen wird Flüssigerdgas, die zweitgrößte Brennstoffquelle des Landes für die Stromerzeugung, zukünftig wohl eine größere Rolle beim Verdrängen von Kohlestrom spielen. So importierte Taiwan 2020 17,76 Millionen Tonnen Flüssigerdgas – 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr.
Bei der Offshore-Windkraft ist Taiwan im asiatischen Raum eines der führenden Länder. Formosa 1, der erste Offshore-Windpark des Landes, wurde 2017 fertiggestellt und besteht aus zwei 4-MW-Windturbinen. In Phase 2 des Projekts wurden 2019 120 MW an Kapazität hinzugefügt, zusätzliche 376 MW sollen noch in 2021 dank des neuen Formosa 2-Projekts ans Netz gehen. Basierend auf diesem vielversprechenden Start hat die Regierung ihre Offshore-Wind-Ambitionen stetig gesteigert und erwartet demnach, dass bis 2025 5,7 GW in Betrieb sein werden.
Im Mai dieses Jahres beantragte die Regierung weitere 15 Gigawatt (GW) für den Bau zwischen 2026 und 2035 – was einem Kapazitätszuwachs von 1,5 GW pro Jahr entspricht und das Land zu einem der größten Offshore-Windmärkte im asiatisch-pazifischen Raum machen würde.
Um auf das Know-how vor allem europäischer Offshore-Windentwickler zurückgreifen zu können und damit den Aufbau des eigenen Offshore-Windmarkts zu fördern, hat sich Taiwan vermehrt offen gegenüber ausländischen Investitionen gezeigt. Gleichzeitig beginnt das Land jedoch auch damit, eigene Lieferketten aufzubauen, die einen raschen Zubau neuer Kapazitäten ermöglichen sollen.
Eines der ausländischen Unternehmen, die von dieser Marktoffenheit profitieren, ist RWE Renewables. Zusammen mit der Asia Cement Corporation arbeitet die Erneuerbaren-Sparte des Energieversorgers an der Entwicklung des Chu-Feng-Offshore-Projekts (448 MW) in der windreichen Taiwanstraße vor der taiwanesischen Nordwestküste. Um die Entwicklung der Erneuerbaren im eigenen Land voranzutreiben, setzt die Regierung auch verstärkt auf Stromabnahmeverträge für Unternehmen („Corporate Power Purchase“, PPAs). PPAs für Unternehmen mobilisieren Finanzkapital aus dem Privatsektor und geben den Entwicklern von Offshore-Windkraftanlagen eine gesicherte Einnahmequelle, die es ihnen ermöglicht, finanzielle Mittel von Banken zur weiteren Projektentwicklung zu beschaffen.
Klar formulierte Ziele, Marktoffenheit, eine Strommarktreform und einfache Finanzierung machen Taiwan heute zu einem der attraktivsten Offshore-Windmärkte in Asien. Für das Erreichen der von der Regierung gesteckten Ziele spielen neue Technologien eine zentrale Rolle: Sowohl für das kurzfristige Ziel, den Anteil der Erneuerbaren Energien am Strommix von fünf Prozent im Jahr 2019 auf 20 Prozent im Jahr 2025 zu erhöhen, als auch für das längerfristige Ziel, zwischen 2026 und 2035 zusätzliche 15 GW an Offshore-Windkapazität zu errichten.
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