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Vier Szenarien für das europäische Energiesystem der Zukunft
Vier Billionen Euro müssen laut einer Studie von Deloitte bis 2050 in den Ausbau Erneuerbarer Energien fließen

Dass die Strommärkte in der Europäischen Union in Zukunft stark wachsen werden, darüber herrscht in der Branche weitgehende Einigkeit. Denn die Stromnachfrage wird mit der zunehmenden Zahl der Elektroautos auf den Straßen und der anlaufenden Wasserstoffproduktion noch in diesem Jahrzehnt deutlich steigen. Vor dem Hintergrund des European Green Deals wird daher mehr Strom aus regenerativen Quellen gebraucht. Um den wachsenden Bedarf zu decken, sind ein massiver Ausbau der Erzeugungskapazitäten und damit verbunden Investitionen in Billionenhöhe notwendig. Auch das scheint festzustehen. Ungewiss ist dagegen, wie das europäische Energiesystem künftig aussehen und ob die EU ihr selbst gestecktes Netto-Null-Ziel 2050 erreichen wird. Das Beratungsunternehmen Deloitte hat dafür verschiedene Szenarien entwickelt und die Ergebnisse in der aktuellen Studie „Die Zukunft der Energiewirtschaft liegt im Wachstum“ veröffentlicht.

Die Studienautoren haben berechnet, dass bis zum Jahr 2050 EU-weit die gewaltige Summe von rund vier Billionen Euro in den Ausbau von Erneuerbaren Energien fließen müssten. Nur dann könnten die Erzeugungskapazitäten so weit ausgebaut werden, dass der Strombedarf zu 90 Prozent aus emissionsfreien Quellen gedeckt werden kann. In Kombination mit Maßnahmen, bei denen CO2 gebunden wird – etwa die Aufforstung von Wäldern –, würde das Klimaziel in greifbare Nähe rücken. Das Geld sollte dazu vor allem in neue Solaranlagen und Windräder an Land und auf See investiert werden. Die Kapazität von Photovoltaikanlagen (PV) müsste von geschätzten 280 Gigawatt (GW) im Jahr 2025 auf 860 GW im Jahr 2050 ansteigen. Bei der Offshore-Windkraft wäre im selben Zeitraum ein Sprung von 20 auf 350 GW erforderlich, im Onshore-Bereich von 200 auf 580.

Fokus auf Windkraft und Solarenergie

Die Experten prognostizieren, dass Investitionen in Höhe von bis zu 70 Milliarden Euro pro Jahr (Mrd. €/Jahr) in Windkraft und bis zu 40 Mrd. €/Jahr in PV notwendig sein werden – und zwar zeitnah. Bereits Ende der 2020er-Jahre müsste ein Investitionsniveau von rund 180 Mrd. €/Jahr erreicht werden. Für die Zeit danach erwarten sie hingegen einen deutlichen Preisverfall bei Erneuerbaren-Technologien. Damit beschreiben die Experten einen langfristigen Trend – ungeachtet von Preisschwankungen aufgrund von steigenden Rohstoffkosten, wie sie momentan zu beobachten sind. Technischer Fortschritt und eine höhere Verfügbarkeit würden dazu führen, dass der Ausbau dann auch bei einem geringeren Investitionsvolumen nicht an Fahrt verliere.

Wie die Energiewende in der EU und ihren Mitgliedsstaaten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten tatsächlich weitergehen wird, ist jedoch neben der Höhe der Investitionen auch von vielen weiteren Faktoren abhängig. Die Autoren haben deshalb die wichtigsten politischen, technologischen, sozialen und ökologischen Trends bewertet. Auf dieser Grundlage sind vier Szenarien entstanden, die beschreiben, wie sich das Energiesystem bis 2050 entwickeln könnte:

 

  1. Happy EU-lectrons: Hier sind die Experten davon ausgegangen, dass 2050 ein gemeinsamer EU-Strommarkt entstanden ist. Das Covid-19-Konjunkturprogramm hat in den 2020er-Jahren hohe Investitionen ermöglicht. Entscheidend war aber vor allem ein gezieltes Vorgehen auf EU-Ebene, unter anderem mit einer konsequenten CO2-Bepreisung. So konnten die Erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden. Sie können den durch die rasante Ausbreitung von E-Autos und Wasserstofftechnologien massiv gestiegenen Strombedarf decken. Die Energiewende ist in der EU gelungen, das Klimaziel wurde erreicht.
  2. United in Tech-Diversity: Dieses Szenario baut auf der These auf, dass die EU-Mitgliedsstaaten durch starke geopolitische Spannungen auf der gesamten Welt enger zusammengerückt sind – auch, um unabhängiger von Importen zu werden. So konnten auf europäischer Ebene umfassende Maßnahmen getroffen und die Energiewende vorangetrieben werden. Dabei ist ein lebhafter Wettbewerb der Technologien und Energieträger entstanden. Investitionen flossen nicht nur in den Ausbau Erneuerbarer Energien und den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, sondern zum Beispiel auch in Kernkraft, die Weiterentwicklung von E-fuels und Methoden zur Speicherung von CO2. Auf diesem Weg konnte das Ziel der Klimaneutralität ebenfalls erreicht werden.
  3. Two Steps Forward One Step Back: Wie der Name schon erahnen lässt, ist es den Mitgliedsstaaten in diesem Szenario nicht gelungen, bei der Energiewende nachhaltig gemeinsame Ziele zu verfolgen. Unter anderem nationale Einzelinteressen und fehlende wirtschaftliche Ressourcen haben beim Green Deal zum Stillstand geführt. Deshalb sind viele Länder weiterhin auf fossile Energiequellen angewiesen. Bei anderen gab es Bemühungen, die Energiewende doch noch zu schaffen. In der Summe reichte das jedoch nicht aus. Die EU hat ihr Klimaziel verfehlt.
  4. Green Lone Wolves: Auch hier ist es nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen gekommen. Grund dafür war ein weitgehender politischer Stillstand auf EU-Ebene. Weil es weder eine entsprechende Gesetzgebung noch ausreichende Förderprogramme gab, mussten die Staaten selbst die Initiative ergreifen. In diesem Szenario ist dadurch ein Konkurrenzkampf entstanden, bei dem jedes Land versucht hat, das Klimaziel allein zu erreichen. In der Folge gibt es viele parallele Energiesysteme, die weitgehend isoliert voneinander sind. Durch dieses unkoordinierte Vorgehen ist die EU 2050 nicht klimaneutral – auch wenn nicht mehr viel fehlt.

 

Die vier Szenarien zeigen auf, dass die Entschlossenheit bei der Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Linie entscheidend für den Erfolg der Energiewende sein wird. Für die Industrie ist das mit großen Unsicherheiten verbunden, wie die Autoren der Studie abschließend erklären: Auf der einen Seite müssten Energieversorger sich auf ein starkes Wachstum vorbereiten, auf der anderen Seite sei aber noch nicht abzusehen, auf welche Herausforderungen sie dabei stoßen werden. Das erfordere neben hohen Investitionen eine flexible Strategie, die bei Bedarf an Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Technologie angepasst werden könne.

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