Riesige Wälder bedecken 70 Prozent der Fläche, im Westen ragen die schneebedeckten Bergkuppen der Rocky Mountains tausende Meter in die Höhe, im Norden geht das Festland ins arktische Polarmeer über. Kanada steht für landschaftliche Vielfalt, unberührte Natur – und für scheinbar unerschöpfliche Ressourcen. Die 38 Millionen Einwohner des zweitgrößten Landes der Erde können auf immense natürliche Rohstoffvorkommen zurückgreifen. Mit einem Anteil von sechs Prozent an der globalen Ölproduktion ist der Commonwealth-Staat der viertgrößte Erdölproduzent. Doch Erneuerbare Energien gewinnen zunehmend an Bedeutung. Der en:former analysiert das sich wandelnde Energiesystem.
Die Energiebranche ist ein wichtiger Faktor in der kanadischen Wirtschaft. Rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden darüber erwirtschaftet, mehr als 800.000 Jobs sind direkt oder indirekt dort angesiedelt. Seit der Jahrtausendwende boomt vor allem die Ölindustrie. Denn in der Provinz Alberta im Westen des Landes befindet sich das zweitgrößte Erdölvorkommen der Welt. Das Öl ist in Sand gebunden, den sogenannten Ölsanden.
Die Förderung ist allerdings deutlich aufwändiger und energieintensiver als bei konventionellem Öl. Um an die Ölsande zu gelangen, heben die Förderunternehmen eine Sandschicht unter dem Waldboden aus. Wenn diese zu tief liegt, werden Schächte in den Boden gegraben. Presst man dort Wasser mit Hochdruck hinein, löst sich das begehrte Gut und kann dann nach oben gepumpt werden. Dank moderner Verfahren boomt die Förderung, in den vergangenen Jahren hat sich die kanadische Ölförderung mehr verdoppelt.
Das Öl wird vor allem exportiert, nicht einmal jedes fünfte Barrel wird im Inland verbraucht. So deckten die USA im Jahr 2019 knapp ein Viertel ihres Ölbedarfs mit Importen aus Kanada. Die Kehrseite: Durch die Förderung wird viel CO2 freigesetzt. Als Folge der wachsenden Produktion haben sich die Treibhausgasemissionen in dem Bereich zwischen 2000 und 2018 mehr als verdreifacht.
Neben Öl verfügt das Land über große Erdgasvorkommen, fast die Hälfte des geförderten Gases wird ebenfalls exportiert. Außerdem ist Kanada nach Kasachstan der größte Produzent von Uran, das für die Stromerzeugung in Kernkraftwerken genutzt wird.
Während die Wirtschaft insgesamt noch stark von fossilen Brennstoffen abhängig ist, präsentiert sich der Stromsektor hingegen deutlich grüner und nachhaltiger. Den mit Abstand größten Anteil am Strommix hat seit Jahren die Wasserkraft, so wurden im Jahr 2019 knapp 60 Prozent des erzeugten Stroms in Wasserkraftwerken erzeugt. Entlang der zahlreichen Flüsse, die das Land durchziehen, sind 563 Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von mehr als 81 Gigawatt (GW) installiert, Tendenz weiter steigend.
Sie machen Kanada zum drittgrößten Produzenten mit einem Anteil von neun Prozent an der weltweiten Wasserkraft-Erzeugung. Das leistungsstärkste Kraftwerk des Landes befindet sich in der Provinz Québec. Die nach dem früheren Premierminister Robert Bourassa benannte Anlage ist seit Beginn der 1980er-Jahre in Betrieb und verfügt über eine installierte Leistung von 5616 Megawatt.
Unter anderem wegen der natürlichen Uranvorkommen gehört Kernkraft zu den wichtigsten Energiequellen im Land. Aktuell erzeugen Kernkraftwerke rund 15 Prozent des gesamten Stroms. Dieser Wert soll nach den Plänen der kanadischen Regierung in Zukunft weiter ansteigen. Erst 2018 hat das zuständige Ministerium Natural Ressources Canada (NRCan) ein Programm aufgelegt, dass die Entwicklung neuer Reaktortypen fördert. In der südöstlichen Provinz Ontario steht das leistungsstärkste Kraftwerk: Die acht Blöcke von „Bruce“ haben eine Kapazität von 6739 Megawatt (MW). Andere fossile Energieträger spielen eine deutlich geringere Rolle. Lediglich sieben Prozent des Stroms kommt zurzeit aus Kohlekraftwerken.
Ebenfalls nur einen geringen Anteil an Strommix haben die Erneuerbaren Wind und Solar. 2019 lag die Kapazität der Onshore-Windräder bei 13,4 GW, die der PV-Anlagen bei gut drei GW. Sie hatten 2019 einen Anteil von fünf bzw. 0,6 Prozent an der Stromerzeugung.
Obwohl der Strombedarf der Kanadier in den vergangenen Jahren gestiegen ist, gelang es, die Treibhausgasemissionen der Stromproduktion zwischen 2000 und 2018 um 50 Prozent zu reduzieren. 82 Prozent der Elektrizität stammt inzwischen aus emissionsarmen Quellen (also aus erneuerbaren Energieträgern plus der Kernkraft) – laut NRCan ist Kanada damit in der Gruppe der Länder, die am meisten Strom produzieren, führend. Der Erneuerbaren-Anteil ist zwischen 2010 und 2018 um 16 Prozent gestiegen.
Denn seit einigen Jahren setzt die Regierung sich vermehrt dafür ein, die Treibhausgasemissionen im Energiesektor zu senken, Kanada hat sich zu den Pariser Klimazielen bekannt. Unter Premierminister Justin Trudeau wurde Ende 2016 außerdem die „Mid-Century Strategy for a Clean Growth Economy“ verabschiedet. Das Papier zeigt Wege auf, die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2005 zu senken.
Um das zu erreichen, sollen Investitionen in Milliardenhöhe den Ausbau Erneuerbarer Energien vorantreiben. Dabei soll Wasserkraft auch weiterhin seine Spitzenposition behalten. Nach Angaben von NRCan förderte die Regierung in den Jahren 2015 bis 2019 aber auch den Ausbau der Windkraft mit 5,6 Milliarden Dollar, den von Solarparks mit 2,5 Milliarden. Die beiden Branchen entwickelten sich so zu den am schnellsten wachsenden Energiequellen des Landes. Ein großer Teil der Anlagen ist in Ontario installiert. Die Provinz, in der die Metropole Toronto liegt, ist besonders dicht besiedelt, der Energiebedarf hoch.
Im Vergleich zu anderen Staaten sind die Ausbaupläne allerdings bescheiden: Das National Energy Board, die zuständige Regulierungsbehörde, prognostiziert für das Jahr 2040 einen Anteil der Windkraft am Strommix von 9,5 Prozent. Solaranlagen werden dann gerade einmal 1,2 Prozent erreichen. Hauptgrund dafür ist die nördliche Lage – vor allem im Winter gibt es zu wenige Sonnenstunden.
Der geplante schrittweise Kohleausstieg eröffnet der Wind- und Solarbranche zwar weitere Wachstumsmöglichkeiten – Erneuerbare sollen die entstehenden Lücken schließen. Vor allem aber will Kanada weiter auf Wasser- und Kernkraft setzen. Gleichzeitig subventioniert die Regierung um Justin Trudeau fossile Brennstoffe. So ist ein Ende der CO2-intensiven Ölförderung in Alberta noch lange nicht in Sicht.