Könnten in Deutschland schon bald Millionen Erdgaskunden mit Wasserstoff versorgt werden? Im Prinzip ja, sagt der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und beruft sich auf die Ergebnisse einer aktuellen Studie: Im Rahmen des Forschungsprojekts „SyWeSt H2“ haben Experten von Open Grid Europe und der Universität Stuttgart Stähle untersucht, die für Erdgasleitungen genutzt werden, und herausgefunden, dass diese sich auch für Wasserstoffpipelines eignen.
Da Erdgas und Wasserstoff chemisch unterschiedlich aufgebaut sind, stellen sie unterschiedliche Ansprüche an Werkstoffe. Die Frage, ob sich Erdgasnetze auch für den Transport von Wasserstoff eignen, beschäftigt Experten daher seit Beginn der Überlegungen zum Markthochlaufs von H2. Bekannte Netzausbauvorschläge wie das European Hydrogen Backbone, die Initiative H2ercules, aber auch die Netzplanung der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber (FNB Gas) basieren auf der Annahme, dass sich Leitungssysteme grundsätzlich umstellen lassen.
Um das zu überprüfen, haben die Forscher der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart in deutschen und teilweise auch europäischen Rohrleitungen verbaute Stähle unterschiedlichen Tests wie zum Beispiel einer bruchmechanischen Prüfung unterzogen. Mit dieser speziellen Werkstoffprüfung lässt sich ermitteln, wie sich Risse unter Belastung ausbreiten. Das ist insbesondere bei Materialien von Relevanz, die starken Spannungen ausgesetzt sind – also zum Beispiel Pipelines, durch die unter hohem Druck Gas oder Wasserstoff fließt.
In dem Projekt wurden Pipeline- und Rohrleitungsstähle verschiedensten Alters und unterschiedlichster Materialfestigkeit untersucht, sodass sich ein repräsentativer Querschnitt der aktuellen Erdgasnetze ergab. Als Maßstab für die Beurteilung diente der amerikanische Standard für den Transport von Wasserstoff (ASME B31.12) sowie der von DVGW festgelegte Mindestwert für Bruchzähigkeit. Weitere Variablen wie der Einfluss des Wasserstoffdrucks flossen ebenfalls in die Analyse ein.
Das Ergebnis: Alle untersuchten Werkstoffe erfüllten nicht nur die Anforderungen an Bruch- und Rissfestigkeit, sondern übertrafen diese sogar – zum Teil deutlich. Die Experten attestieren daher allen betrachteten Stählen eine „grundsätzliche Tauglichkeit für den Transport von Wasserstoff“.
Die Forschungsergebnisse sind wegweisend in die Wasserstoff-Zukunft. In Leitungsnetzen werden die Rohre auch weiterhin genutzt werden können, und nur einzelne Einbauteile oder Stationselemente sind zu ertüchtigen oder auszutauschen. Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW
Heißt das also, dass durch das rund 550.000 Kilometer lange deutsche Erdgasnetz künftig auch Wasserstoff fließen kann? Um das abschließend beurteilen zu können, so die Forscher, seien noch weitreichendere Analysen erforderlich. So haben sie in dem Projekt zum Beispiel nicht im Detail geprüft, welchen Einfluss die Härte von Schweißnähten auf deren Rissfestigkeit hat. Außerdem müsste dazu auch die Technik rund um die Pipeline umgestellt werden (der en:former berichtete).
Für den DVGW, der die Studie beauftragt hatte, sind die Resultate dennoch „wegweisend“: Der Verein rechnet vor, dass die bestehende Infrastruktur mit Gesamtkosten von etwa 30 Milliarden Euro komplett auf Wasserstoff umgerüstet und Haushalte und Unternehmen mit geringem Aufwand H2-ready gemacht werden könnten. Die neuen Erkenntnisse fließen außerdem in das Regelwerk für den Einsatz von bis zu 100 Prozent Wasserstoff ein, das auch bei künftigen Projekten zum Transport von H2 Orientierung bieten wird.
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