Forschende der TU Berlin und der Universität Aarhus haben kürzlich eine neue Studie zu den europäischen Energienetzen vorgestellt. Das zentrale Ergebnis der umfassenden Modellanalyse: „Ein paralleler Ausbau von Wasserstoff- und Stromnetzen wäre am günstigsten und könnte europaweit jährlich bis zu 70 Milliarden Euro einsparen. Ein klug geplantes Wasserstoffnetz könnte dabei zu fast 70 Prozent aus vorhandenen Gasleitungen gebaut werden.“
Der Grund: Ausgebaute Stromnetze sowie neue und auf Wasserstoff umgerüstete H2-Pipelines können Erneuerbare Energie aus den sonnigen und windigen Regionen Europas in die bevölkerungsreichen Industriezentren bringen. Und das wäre deutlich effizienter als diese vor allem regional zu erzeugen und zu verwenden.
In der Studie haben die Wissenschaftler vier Szenarien untersucht: nur das Stromnetz wird ausgebaut, nur das Wasserstoffnetze wird ausgebaut, beide Netze werden ausgebaut oder kein Ausbau findet statt. Im Vergleich zum Kein-Ausbau-Szenario würden mit dem Ausbau beider Systeme zehn Prozent der Gesamtkosten für das europäische Energiesystem gespart werden, was laut Studie etwa jenen 70 Milliarden Euro im Jahr entspräche.
Dass Stromnetze und zukünftige Wasserstoffnetze zusammen gedacht werden, ist heute schon Realität. Die europäischen Netzbetreibern für Gas (ENTSO-G) und Strom (ENTSO-E) veröffentlichen alle zwei Jahre die sogenannten Zehn-Jahres-Netzentwicklungspläne (Ten-Year Network Development Plans – TYNDP, Link in English), die als Roadmap Entwicklung und Integration der Energienetze umfassend skizzieren. Dabei gehen sie auf zukünftige Anforderungen im Bereich der Stromnetze und der Wasserstoff-Infrastruktur ein und entwickeln dazu unterschiedliche Szenarien.
Am meisten bringt dabei der Ausbau der Stromnetze (sechs bis acht Prozent Einsparungen). Zwar würden sich die Kosten für neue Netze verdoppeln, aber dafür könnte grüner Strom an den günstigsten Solar- und Windstandorte erzeugt werden. Zudem könnten örtliche Schwankungen der Winderzeugung besser ausgeglichen werden.
Bei der Umwandlung bestehender Gas- in Wasserstoffnetze sowie dem Bau einiger neuer Pipelines ließen sich immerhin zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten einsparen. Dabei wiegen die Vorteile (z. B. langfristig speicherbar in Salzkavernen, Einsatz in der Industrie) die Nachteile (Energieverluste bei der Umwandlung von grünem Strom in grünen Wasserstoff) deutlich auf. „Am vorteilhaftesten wäre eine Kombination aus dem Ausbau von Strom- und Wasserstoffnetz“, erklärt Dr. Fabian Neumann vom Fachgebiet „Digitaler Wandel in Energiesystemen“ der TU Berlin.
Interessant bei der Studie: Für die Analyse haben die Forschenden eine Open-Source-Software mit dem Namen ‚PyPSA‘ genutzt, die an der TU Berlin entwickelt worden ist. Diese Software wird unter anderem durch die EU-Kommission für die Bewertung von Wasserstoffprojekten ausdrücklich empfohlen, da die Ergebnisse durch den Open-Source-Ansatz besonders transparent seien.
Das auf der Software basierende Modell des europäischen Energiesystems kombiniert Wetterdaten mit der Struktur der Energienetze in den verschiedenen Ländern und mit den verfügbaren Flächen für den Ausbau von Solar- und Windenergie. „Dies beinhaltet auch die Regionen, in denen Wasserstoff in unterirdischen Salzkavernen gespeichert werden könnte, sowie die Standorte von Industrieanlagen, wo CO2 aus Industrieprozessen abgeschieden werden kann“, sagt Neumann.
Ein weiteres Fazit der komplexen Analyse: Es werde immer wichtiger, den Ausbau von Energieinfrastruktur länder- und sektorenübergreifend zu koordinieren. „Um Klimaneutralität kosteneffizient erreichen zu können, müssen die Standorte von Energieerzeugung, -transport, -umwandlung und -speicherung verstärkt integriert geplant werden, da sie stark voneinander abhängen.“