Wasserstoff ist ein Hoffnungsträger der Energiewende – er gilt als Schlüsselfaktor für die Dekarbonisierung der Industrie etwa in der Stahlherstellung und der Chemie-Industrie. Im Transportsektor soll er Züge, LKW, Schiffe und später sogar Flugzeuge antreiben. Und im Winter kann er sogar helfen, unsere Häuser zu beheizen. Bis zum Jahr 2050 erwartet die Europäische Kommission, dass grüner Wasserstoff, der aus regenerativen Quellen erzeugt wird, bis zu 14 Prozent der Energieversorgung ausmachen wird. Aktuell sind es rund zwei Prozent.
Produziert werden soll der Wasserstoff vor allem in Gegenden, wo viel Wind bläst: In Offshore-Windparks oder in Gebieten nahe der Küste. Das bedeutet aber auch: Er muss in großer Menge und über weite Strecken transportiert und zwischengespeichert werden. Für den Transport und die Verteilung ist vor allem ein großes europaweites Netzwerk an Pipelines angedacht: ein „Wasserstoff-Rückgrat“ (European Hydrogen Backbone, EHB) soll 19 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Schweiz und das Vereinigte Königreich verbinden.
Diese Vision hat der europäische Gasinfrastrukturverband GIE aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Guidehouse in einer Studie den Bedarf an Speicherkapazitäten für Wasserstoff für die Jahre 2030 und 2050 berechnet. Dabei gibt die Studie einen Ausblick über Speicherkapazitäten in Europa und stellt ihre wesentliche Rolle beim Aufbau eines Wasserstoffnetzwerkes heraus. Auch auf Um- und Nachrüstungsmöglichkeiten von vorhandenen Speichern sowie geografische Verfügbarkeiten und Einschränkungen geht der Bericht ein.
Um den zukünftigen Bedarf an Speicherkapazität für Wasserstoff zu berechnen, nimmt die GIE das heutige Verhältnis von Erdgasspeicherkapazitäten und jährlichen Erdgasverbrauch als Basis und leitet über dieses den zukünftigen Bedarf für Wasserstoff ab. Über die 21 Staaten des „Wasserstoff-Rückgrates“ verteilt ergibt sich laut Studie so eine Erdgasspeicherkapazität von rund 1.096 Terrawattstunden (TWh). In Europa gehört Deutschland mit etwa 228 TWh Speicherkapazitäten zu den Spitzenreitern, gefolgt von Italien und der Niederlande. Der gemeinsame Jahresbedarf an Erdgas beläuft sich allerdings auf 4.624 TWh Erdgas. Die Speicherkapazität in Europa macht momentan dementsprechend etwa 24 Prozent des Jahresbedarfs aus.
Dieses Verhältnis übertragen die Autoren der Studie nun auf den Wasserstoff und berechnen anhand des erwarteten Wasserstoffbedarfs einen Speicherbedarf von etwa 70 TWh für 2030 und 450 TWh für 2050 in Europa. Diese Werte sind zunächst einmal grobe Schätzungen, da die Prognosen zum zukünftigen Wasserstoff-Bedarf Europas stark variieren. „Dieser erste Aufschlag ist noch nicht bis ins Detail ausgearbeitet. Außerdem wird von deutlich höheren H2-Bedarfen ausgegangen, als sie derzeit zum Beispiel in Deutschland von der Politik gesehen werden. Die Zahlen dienen also zunächst eher der groben Orientierung und sind in den kommenden Monaten weiter zu konkretisieren“, erklärt Jörg Albers, Senior Manager Sales & Regulation bei RWE Gas Storage West GmbH.
Auf den ersten Blick sieht der Speicherbedarf im Vergleich zu den bestehenden Kapazitäten nicht besonders hoch aus. Allerdings besitzt Wasserstoff eine sehr viel geringere Energiedichte sowie ein anderes Kompressionsverhalten als Erdgas. Dadurch werden etwa fünfmal so hohe Speichervolumen benötigt, um die gleiche Energiemenge wie bei Erdgas speichern zu können. Das bedeutet, eine Speicherkapazität von 70 TWh Wasserstoff entspricht einer Speicherkapazität von ca. 350 TWh Erdgas. Eine weitere Hürde: Nicht alle Erdgasspeicher sind für die Einlagerung von Wasserstoff geeignet. Potenziell nutzbare Speicher müssten vorher umgerüstet werden.
Laut der Studie sind Untergrundspeicher generell die wirksamste Lösung, um Wasserstoff in großen Mengen und für eine lange Zeit einzulagern. Von den verschiedenen Typen von Untergrundspeicher eignen sich Salzkavernen für diesen Zweck besonders gut. Salzkavernenspeicher sind große künstlich angelegte Hohlräume in Steinsalzformationen, in einer Tiefe von ca. 1000 Metern. Der herrschende Luftdruck und die Eigenschaften der Salzschicht machen die Speicher dabei besonders dicht und gasundurchlässig. Weltweit existieren drei Wasserstoffspeicher in Salzkavernen – einer davon in Europa: In Teesside, Großbritannien, werden Salzkavernen seit über 50 Jahren zu diesem Zweck genutzt.
Bisher konnte Wasserstoff in seiner reinen Form nur in Salzkavernen erfolgreich gespeichert werden, aber auch andere Untergrundspeicher verfügen laut der Studie über Potenzial: Sogenannte erschöpfte Porenspeicher, Aquiferen oder Felskavernen. Die Studienautoren halten es für wichtig, auch diese Speichermöglichkeiten zu erforschen, denn die Errichtung von Salzkavernen ist geographisch eingeschränkt. Innerhalb der 21 EHB-Staaten gibt es in Salzkavernen gerade mal eine (theoretische) Speicherkapazität für Wasserstoff von etwa 50 Milliarden kWh. Damit kann noch nicht einmal der von der GIE errechnete Bedarf für das Jahr 2030 gedeckt werden.
Die GIE prognostiziert, dass sich bis 2030 die meiste Wasserstoffnachfrage auf bestimmte Regionen, sogenannte Wasserstoff-Valleys, konzentrieren wird, die ihre Wasserstoffversorgung hauptsächlich lokal steuern werden. Untergrundspeicher werden ein zentraler Teil dieser Zentren sein. Ab 2030 werden Angebot und Nachfrage bis 2050 weiter ansteigen und es wird sich ein europaweites, ausgedehntes Wasserstoff-Netz, über die Valleys hinaus entwickeln. Die Neuanlegung als auch das Umrüsten von bestehenden Gasspeichern wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Der europäische Gasinfrastrukturverband GIE ruft deshalb dazu auf, die Schaffung von Speichermöglichkeiten so früh wie möglich anzugehen, um den Aufbau eines europaweiten Wasserstoff-Netzes zu stützen.