Bis zum emissionsfreien Zugverkehr ist es noch ein langer Weg: Während auf gut ausgebauten, hochfrequentierten Strecken in Europa Triebwagen mit Elektroantrieb unterwegs sind, kommen im Regionalverkehr noch viele Dieselloks zum Einsatz. Grund dafür ist, dass nicht überall Oberleitungen vorhanden sind. Allein in Deutschland sind etwa 40 Prozent des knapp 40.000 Kilometer langen Schienennetzes nicht elektrifiziert. Gerade in ländlichen Regionen lohnt sich der Ausbau oft nicht.
Hersteller und Verkehrsbetriebe wollen in Zukunft deshalb eine andere Richtung einschlagen. Sie setzen auf wasserstoffgetriebene Züge. Nach dem französischen Schienenfahrzeugbauer Alstom entwickelt nun auch die deutsche Siemens-Tochtergesellschaft Siemens Mobility die dazu notwendige Technologie. Die neuartigen Regionalbahnen der beiden Unternehmen sind mit Brennstoffzellen ausgestattet, welche Strom für den Elektroantrieb direkt an Bord erzeugen. So können die Züge auch ohne Oberleitungen rein elektrisch und damit ohne Treibhausgasemissionen fahren – vorausgesetzt, dass klimaneutral produzierter Wasserstoff eingesetzt wird.
Bereits 2018 ging Alstom mit seiner umgebauten Dieselbahn auf den Markt. Mit „Coradia iLint“ stellte das Unternehmen in Deutschland erstmals den Personenzug für den Regionalverkehr vor. Damals brachten die Eisenbahnen- und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (evb) ihn als erster Anbieter weltweit auf die Schiene. Sie setzten testweise zwei der Wasserstoffzüge im Regelbetrieb in Niedersachsen ein. Weitere Verkehrsbetriebe folgten, darunter Eisenbahnunternehmen aus den Niederlanden und Österreich. 2020 beendeten die evb den erfolgreichen Probelauf auf der Strecke zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude. Ab 2022 sollen die Bahnen in den Dauerbetrieb gehen.
Andere Akteure zeigen inzwischen ebenfalls Interesse an der Technologie. Ende 2020 hat die Deutsche Bahn (DB) angekündigt, einen Wasserstoff-Zug auf Regionalbahn-Strecken zu erproben. Das Unternehmen plant, den „Mireo Plus H“ von Siemens Mobility ab 2024 in Baden-Württemberg einzusetzen. Das Modell ist eine Weiterentwicklung des „Mireo“, dem neuesten elektrischen Triebzug für den Nahverkehr aus dem Hause Siemens. Es wurde speziell für die Fahrt mit Wasserstoff als Brennstoff entwickelt. In den kommenden Jahren sollen die ersten Fahrzeuge vom Band laufen.
Sie werden mit einer Brennstoffzelle sowie einer Lithium-Ionen-Batterie ausgestattet. Die beiden Komponenten ergänzen sich und ermöglichen eine hohe Antriebsleistung von 1,7 Megawatt (MW). Damit erreichen die Züge eine Höchstgeschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde (km/h). So machen sie dieselbetriebenen Fahrzeugen echte Konkurrenz. Das gilt auch für die Reichweite: Die zweiteilige Ausführung kann 600 Kilometer (km) ohne Tankstopp zurücklegen, die dreiteilige sogar 1000 km. Damit die Bahnen komplett emissionsfrei fahren, sollen sie mit grünem Wasserstoff, der mit Strom aus Erneuerbaren Energien produziert wird, betankt werden.
Dazu wird DB Energie eine mobile Tankstelle im DB Regio-Werk Tübingen aufbauen. Dort werden Elektrolyseure aus Wasser den Brennstoff gewinnen. Der Tankvorgang soll dank eines neuen Verfahrens besonders schnell sein: In nur 15 Minuten können die Züge komplett vollgetankt sein – genauso schnell wie eine Diesellok. Dazu wird der Wasserstoff erst in einem Kompressor verdichtet und in einem Tanktrailer gekühlt. Laut DB ein entscheidender Pluspunkt, der die neue Technologie endgültig konkurrenzfähig macht. „Diese wird den operativen Zugverkehr schneller, effizienter und umweltfreundlicher gestalten“, sagt Siemens Mobility-CEO Michael Peter.
2024 wird der erste Zug zwischen Tübingen, Horb und Pforzheim den Testbetrieb aufnehmen. Ein Jahr lang soll die emissionsfreie Bahn dort eine dieselbetriebene Regionalbahn ersetzen. Dabei wird sie rund 120.000 Kilometer zurücklegen und 330 Tonnen CO2 einsparen. Speziell geschulte Triebwagenführer werden das Fahrzeug steuern. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann freut sich, „dass der erste Zug mit dieser neuen und nachhaltigen Technologie in Baden-Württemberg unterwegs sein wird“. Der Brennstoffzellenantrieb stelle eine klimafreundliche Alternative im Schienenverkehr dar, der „wesentlicher Teil der Verkehrswende“ sei.
Sollte sich „Mireo Plus H“ im Test bewähren, steht einem großflächigen Umstieg auf die Technologie nichts mehr im Weg. Prof. Sabina Jeschke (wer ist das?) betont: „Wir müssen den Verbrauch fossiler Kraftstoffe auf null bringen. Nur so kann die DB im Jahr 2050 klimaneutral sein. Dann werden wir kein einziges Fahrzeug mehr mit konventionellem Diesel betreiben.“
Konkurrent Alstom hat unterdessen heute schon mehr als 40 Exemplare seiner „Coradia iLint“ an Verkehrsbetriebe in Deutschland verkauft. Die geräuscharmen Bahnen erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 140 km/h und verfügen über eine ähnlich hohe Reichweite wie die Siemens-Züge. Sie sollen in den kommenden Jahren gebaut und ausgeliefert werden. Der evb hat allein 14 Stück bestellt. Der bisher größte Auftrag kam von der Fahrzeugmanagement Region Frankfurt RheinMain GmbH: Sie will ab 2022 27 Wasserstoffbahnen auf den Strecken im Taunus einsetzen.
Brennstoffzellenzüge werden also schon bald häufiger auf den Gleisen unterwegs sein. Hersteller und Verkehrsbetriebe sind einen entscheidenden Schritt in Richtung Dekarbonisierung des Schienenverkehrs gegangen.
Bildnachweis: © Alstom