Die russische Invasion in die Ukraine hat bekanntermaßen eine weltweite Energiekrise ausgelöst. Und das zu einem Zeitpunkt, als die globalen Gasmärkte bereits angespannt waren. Das Bestreben Europas, sich von russischen Gasimporten zu lösen, sowie Russlands Politik, Lieferungen als Druckmittel zu nutzen, haben sowohl die Verfügbarkeit als auch die Preise in den Mittelpunkt der Krise gerückt, heißt es im neuen Gas Market Report 2022 (Link in Englisch) der Internationalen Energieagentur (IEA).
Das Ergebnis, so der Bericht weiter: Der Krieg Russlands habe die globalen Gasmärkte neu definiert und zu einem Wechsel des Energieträgers sowie einer nachlassenden Nachfrage nach Gas geführt.
Europa hat sich zu einem wichtigen Abnahmemarkt für flüssiges Erdgas (LNG) entwickelt, den Anbieter nun vor anderen Regionen bevorzugt beliefern. Dabei galt Europa lange Zeit als eher schlechter Abnehmer für LNG. Die IEA erwartet nun, dass die Nachfrage nach LNG in Europa das vorhandene Angebot dieses Jahr übersteigen wird und dass sie für mehr als 60 Prozent des Wachstums im weltweiten LNG-Handel bis 2025 verantwortlich ist.
Länder, vor allem in Asien, die eine Umstellung vom Brennstoff Kohle auf eine verstärkte Nutzung von LNG vorgesehen hatten, sind nun gezwungen, ihre Pläne zumindest kurz- bis mittelfristig zu überdenken. Gründe sind dabei vor allem der hohe Preis und mangelnde Verfügbarkeit.
Infolgedessen rechnet die IEA damit, dass die weltweite Gasnachfrage insgesamt in diesem Jahr um 0,5 Prozent zurückgeht und von 2022 bis 2025 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von nur 0,8 Prozent wächst. Dies entspricht einem um 60 Prozent geringeren Wachstum des globalen Gasverbrauchs in diesem Zeitraum im Vergleich zur letztjährigen Prognose.
Die IEA stellt jedoch gleichzeitig fest, dass ein geringerer Gasverbrauch nicht gleichbedeutend mit einer schnelleren Energiewende ist. Laut der Agentur sind 80 Prozent der gesunkenen Nachfrage auf ein schwächeres Wirtschaftswachstum (40 Prozent) und auf den Wechsel von Gas auf Brennstoffe wie Kohle und Öl (40 Prozent) zurückzuführen. Die Auswirkungen von Effizienzsteigerungen und der Ersatz zum Beispiel durch erneuerbare Energien machen gerade mal 20 Prozent des Rückganges aus.
Eine schnelle und geordnete Reduzierung der europäischen Importe von russischem Gas steht im Einklang mit den Klimazielen. Neben der Erhöhung der nicht-russischen Gasimporte muss sich Europa laut der IEA auf zwei Maßnahmen konzentrieren: die allgemeine Reduzierung der Gasnachfrage und die Steigerung der inländischen Produktion von kohlenstoffarmen Gasen.
Das erste Element beinhaltet eine Intensivierung vieler Prozesse, die Europa bereits als Teil der Energiewende verfolgt. Dazu gehören der Ausbau der Erneuerbaren Energien zur Reduzierung des Gasverbrauchs bei der Stromerzeugung, Energieeffizienzmaßnahmen und der Einsatz von Wärmepumpen in Privathaushalten und im Gewerbe. Mit Wärmepumpen wird beim Heizen Gas durch Strom ersetzt. Zudem bieten die Regierungen Anreize, dass Verbraucher durch weniger Heizen beim Gassparen helfen sollen. Jede dieser genannten Maßnahmen könne laut des Berichts zu einer erheblichen Verringerung des Gasverbrauchs führen.
Wenn auch eher mittelfristig, würde eine Ausweitung der inländischen Produktion von kohlenstoffarmen Gasen ebenfalls große Vorteile bringen. Die IEA schätzt, dass durch eine verstärkte Produktion von Biomethan und kohlenstoffarmem Wasserstoff in Europa bis 2025 zwischen 10 und 15 Milliarden Kubikmeter Erdgas eingespart werden könnten.
Weltweit wird der Industriesektor der Hauptabnehmer für Gas bleiben und mehr als die Hälfte des Verbrauchswachstums zwischen 2022 und 2025 ausmachen. China wird laut der IEA dabei der größte nationale Gas-Abnehmer sein, aufgrund seines starken Industriesektors. Es wird jedoch erwartet, dass das jährliche Verbrauchswachstum Chinas zwischen 2022 und 2025 auf nur noch 5 Prozent zurückgehen wird, immerhin deutlich weniger als die durchschnittlichen 11 Prozent pro Jahr im Zeitraum 2017-2021.
Auf der Angebotsseite wird der LNG-Handel zwischen 2021 und 2025 voraussichtlich nur um 4 Prozent pro Jahr zunehmen, was deutlich unter dem Jahresdurchschnitt von 7 Prozent zwischen 2016 und 2020 liegt. Der Pipeline-Fernhandel wird im gleiche Prognosezeitraum voraussichtlich um durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr zurückgehen, da Europa seine Einfuhren von russischem Gas reduziert.
Obwohl die IEA betont, dass ihre Prognosen angesichts des aktuellen geopolitischen Umfelds mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind, sorgen beide Entwicklungen wohl dafür, dass Gas noch einige Zeit knapp und die Preise wegen der großen Nachfrage hoch bleiben werden.