Eine Power-to-Gas-Anlage im niedersächsischen Werlte. Die Anlage nutzt Strom aus Windenergie, um Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen. In einem weiteren Schritt wird der Wasserstoff in synthetisches Methan umgewandelt, das als Treibstoff für Fahrzeuge dient.
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Autos und LKW fahren mit Benzin und Diesel, geheizt wird mit Gas und Heizöl – Verkehr und Wärmeversorgung sind stark von fossilen Brennstoffen abhängig und pusten zu viel CO2 in die Luft. Eine mögliche Lösung, diese Sektoren klimaneutral zu versorgen: regenerativ erzeugten Strom in Gas, flüssige Brennstoffe oder Wärme umwandeln. Im zweiten Teil der Serie „Power-to-X“ wird die Technologie „Power-to-Gas“ (Strom-zu-Gas) vorgestellt, Wirkungsweise und Potentiale werden beleuchtet.
Es klingt paradox: Herbststürme sorgen für ein warmes und behagliches Zuhause. Doch genau das passiert im münsterländischen Ibbenbüren. Wenn der Windpark dort mehr Strom liefert als lokal abgenommen werden kann, wird der Überschuss genutzt, um Wasserstoff zu produzieren. Dieses Gas wird ins Netz eingespeist und heizt so die Wohnungen und Häuser der Menschen vor Ort mit.
Das Projekt in der Nähe von Osnabrück ist eines von mehr als 20 Forschungs- und Pilotanlagen in Deutschland, in denen sogenannte Power-to-Gas-Technologien eingesetzt und weiterentwickelt werden. Strom aus Erneuerbaren Energien wird durch chemische Verfahren in Gas umgewandelt. Der so gewonnene Brennstoff kann Fahrzeuge antreiben und eben Häuser beheizen. Der große Vorteil: Regenerative Energien können verstärkt im Verkehr oder in der Wärmeversorgung eingesetzt werden, ohne dass die gesamte Fahrzeugflotte und die meisten Heizungsanlagen ausgetauscht werden müssen. Außerdem kann Gas anders als Strom langfristig ohne große Verluste im beachtlichen Maßstab gespeichert werden.
Power-to-Gas gilt daher als eine Schlüsseltechnologie, um die Energie- und Klimaziele zu erreichen. Die Technologie wird erforscht und weiterentwickelt, bisher aber nicht kommerziell genutzt.
Das zugrunde liegende Verfahren, die Elektrolyse, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt: In einem Elektrolyseur wird Wasser mithilfe von Strom in Wasser- und Sauerstoff gespalten. Der so gewonnene Wasserstoff kann als Energieträger in Brennstoffzellen beispielsweise Fahrzeuge antreiben oder wird in der chemischen Industrie gebraucht. Eine andere Möglichkeit: Wasserstoff wird durch einzellige Organismen, sogenannte Archaeen, in synthetisches Methan umgewandelt, wenn Kohlendioxid dazukommt. Der so gewonnene Brennstoff ist chemisch identisch mit fossilem Erdgas und lässt sich deshalb ins Gasnetz einspeisen.
Die Power-to-Gas-Demonstrationsanlage in Ibbenbüren, die vom Energieversorger Innogy betrieben wird, produziert Wasserstoff. Wenn der örtliche Netzbetreiber Westnetz ein Überangebot an Strom aus benachbarten Windkraft- oder PV-Anlagen registriert, wird Strom in den Elektrolyseur geleitet. „Anstatt Windräder vom Netz zu nehmen, nutzen wir so die überschüssige Energie“, sagt Philipp Werdelmann, Leiter der Abteilung Neue Technologie bei Innogy. Die Anlage mit einer Eingangsleitung von 150 Kilowatt kann in der Stunde 30 Kubikmeter Wasserstoff herstellen. Das so produzierte Gas wird dann in das örtliche Netz eingespeist, dabei darf der Anteil von Wasserstoff im Erdgasnetz maximal bei zwei Prozent liegen. Der aus Ökostrom erzeugte Wasserstoff heizt damit Häuser und Wohnungen in der Region oder wird in einem benachbarten Blockheizkraftwerk zur Strom- und Wärme-Erzeugung eingesetzt. Mit dem Ergebnis: Es wird weniger fossiles Erdgas verfeuert, CO2 eingespart.
„Power-to-Gas ist die einzige heute verfügbare Technologie, die sowohl eine Langfristspeicherung von erneuerbarem Strom ermöglicht als auch dessen Nutzbarmachung in allen anderen Energieverbrauchssektoren“, schreibt die Deutsche Energie-Agentur (dena) in Ihrem Bericht „Potenzialatlas Power to Gas“. Mit Ökostrom erzeugtes Methan kann theoretisch ins komplette Gasnetz mit seiner Länge von mehr als 500.000 Kilometer eingespeist und in den rund 50 Untergrundspeichern gelagert werden. Über das Netz lässt es sich einfach und ohne relevante Einbußen transportieren.
Doch obwohl die Technik schon vorhanden ist, wird sie bislang ausschließlich zu Forschungszwecken eingesetzt. Die Strategieplattform Power-to-Gas der dena führt mehr als 20 Pilot- und Versuchsanlagen in Deutschland auf, die zusammen über eine installierte Elektrolyse-Leistung von 20 Megawatt (MW) verfügen. Sowohl Startups als auch große Energieversorger testen neue Verfahren, Komponenten und Betriebskonzepte. „Deutschland nimmt derzeit eine Vorreiterrolle bei der Erprobung und Weiterentwicklung von Power-to-Gas-Technologien ein“, erklärt die dena.
Marktfähige Anwendungen existieren allerdings (noch) nicht. Das Problem: Die Kosten sind zu hoch, der Betrieb nicht wirtschaftlich. Laut einer Studie des Analyse-Instituts Energy Brainpool im Auftrag von Greenpeace Energy betragen die Produktionskosten von Wasserstoff aus Power-to-Gas momentan etwa 18 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh). Mit EEG-Umlage und Netzentgelten kostet es bis zu 38 ct/kWh – ein Vielfaches des Erdgaspreises von rund zwei ct/kWh. Auch wenn der Preis mit großen Produktionsmengen erheblich sinken würde, wird es nach Expertenschätzungen noch mindestens bis zum Jahre 2030 dauern, bis die Technologie wettbewerbsfähig ist.
Ein Grund für die hohen Kosten sind große Umwandlungsverluste. Allein die Elektrolyse verbraucht in der Regel rund 30 Prozent der eingespeisten Energie. Aus einer Kilowattstunde Strom werden so 700 Wattstunden Wasserstoff. Nach der Methanisierung bleibt noch weniger nutzbare Energie übrig. Die Beratungsfirma Front Economics hat im Auftrag von Agora Verkehrswende und Agora Energiewende in einer Studie die Wirkungsgrade von Anwendungen der Power-to-Gas-Technologie errechnet: Während ein E-Auto knapp 70 Prozent des Stroms nutzt, ist es beim Brennstoffzellen-Auto, das mit synthetischem Wasserstoff fährt, nur rund ein Viertel. Ähnlich sieht es beim Heizen aus: Mit synthetischem Methan bleibt rund die Hälfte des Stroms ungenutzt, der durch Wind- oder Solaranlagen erzeugt wurde. Der direkte Einsatz von erneuerbarem Strom in E-Fahrzeugen aber auch in elektrischen Wärmepumpen zum Heizen ist demnach sehr viel effizienter.
Angesichts hoher Kosten und Umwandlungsverluste sollte Power-to-Gas laut dena dort eingesetzt werden, „wo es keine Technologiealternativen gibt und der direkte Einsatz von Erneuerbaren Energien nicht möglich ist.“ So könne im Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr, wo Elektromobilität aufgrund der benötigten Reichweite und des hohen Gewichts der Batterien nicht geeignet sei, Power-to-Gas emissionsarme Kraftstoffe bereitstellen. Zudem könne die Technologie als saisonaler Energiespeicher fungieren, wenn in Zukunft ein sehr hoher Ökostrom-Anteil erreicht wird. Überschüssiger Windstrom könne so im Winter helfen, Bedarfsspitzen in der Wärmeversorgung abzudecken.
In Forschungs- und Pilotanlagen wird die Technik erprobt und weiterentwickelt. In Ibbenbüren ist es unter anderem das Ziel, den Wirkungsgrad zu erhöhen. Innogy setzt auf ein innovatives Elektrolyse-Verfahren, das den eingesetzten Strom effektiver umwandelt sowie schnell auf Laständerung reagieren kann. Eine weitere Maßnahme: „Wir nutzen die entstehende Abwärme und erreichen so einen höheren Nutzungsgrad als andere Anlagen“, erklärt Innogy-Manager Werdelmann. Bei der Wasserstofferzeugung wird ein Teil der Abwärme des Elektrolyseurs in einem benachbarten Gebäude als Prozesswärme eingesetzt. Und nutzt das Blockheizkraft das Gas zur Stromerzeugung, wird die entstehende Wärme in das lokale Fernwärmenetz eingespeist. So kann ein Nutzungsgrad von bis zu 75 Prozent erreicht werden. Seit Inbetriebnahme im August 2015 ist die Anlage rund 7.500 Stunden gelaufen, in einem Jahr konnten beispielsweise etwa 170 Megawattstunden (MWh) an Wasserstoff produziert und in das Gasnetz eingespeist werden. Zum Vergleich: Der durchschnittliche jährliche Gasverbrauch eines Einfamilienhauses liegt bei 23 MWh.
In Planung befinden sich derzeit noch sehr viel größere Demonstrationsanlagen. Die Gas- und Stromnetzbetreiber Tennet, Gasunie und Thyssengas wollen eine 100 Megawatt (MW) starke Anlage in Ostfriesland bauen. Im Jahr 2022 soll sie mit einem ersten Modul starten. Danach soll bis 2028 jedes zweite Jahr ein neues Modul hinzukommen. Die Netzbetreiber Amprion (Strom) und Open Grid (Gas) planen eine Demonstrationsanlage mit einer Leistung von 50 bis 100 MW, die zwischen 100 und 150 Millionen Euro kosten soll. Standorte in Niedersachsen und im nördlichen Nordrhein-Westfalen sind im Gespräch. Dem „Handelsblatt“ sagte Klaus Kleinekorte, technischer Geschäftsführer von Amprion: „Der Einsatz dieser Technik im industriellen Maßstab ist noch nicht in der Praxis bewiesen. Das wird in den kommenden Jahren jedoch umso notwendiger.“
In der Serie „Power-to-X“ stellt der en:former Technologien vor, mit deren Hilfe Strom in andere Energieträger umgewandelt wird. In den kommenden Wochen erklärt die Serie Wirkungsweise, Einsatzmöglichkeiten und Marktpotenziale von Power-to-Liquid und Power-to-Heat.