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Wie die Industrie zu stabilen Stromnetzen beitragen kann
Für große Produktionsstandorte kann sich eine aktive Teilnahme an den Energiemärkten lohnen

Bei der Energiewende kommt es auch auf Flexibilität an – denn die Stromerzeugung aus Windkraft und Solarenergie ist bekanntlich abhängig von Tageszeit und Wetterlage. Doch wie kann das volatile Angebot der Erneuerbaren mit der Nachfrage in Einklang gebracht werden? Also in Zeiten, in denen Solar und Wind mehr oder weniger Energie liefern, als gerade benötigt wird. Hoffnungen liegen dabei auf der Weiterentwicklung von Energiespeichern. Mit einem anderen Ansatz beschäftigen sich Experten der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI), einem Mitglied der Industrieforschungsgemeinschaft Zuse in einem aktuellen Projekt. Sie suchen nach Möglichkeiten, die Industrie deutlich stärker in die Energiemärkte zu integrieren.

So könnten Großverbraucher zum Beispiel ihren Eigenbedarf gezielt an das Angebot am Strommarkt anpassen und selbst an der Börse handeln oder sogar am Regelenergiemarkt teilnehmen. Dadurch könnte die Nachfrage nach Strom flexibler werden und sich mehr an der volatilen Erzeugung der Erneuerbaren orientieren. Und das Potential ist enorm: Die Industrie gehört zu den größten Energieverbrauchern: In der Europäischen Union hatte sie zuletzt einen Anteil von gut 25 Prozent am gesamten Endenergieverbrauch, in Deutschland waren es sogar 28 Prozent.

Erste Ansätze, diese Ressourcen zur Flexibilisierung des Energiesystems zu nutzen, gibt es bereits: Schon heute beteiligen sich Industriebetriebe am sogenannten Regelenergiemarkt. Dieser dient dazu, kurzfristige Netzschwankungen auszugleichen. Zu diesem Zweck können Großunternehmen bewusst ihre Anlagen drosseln und so ihren Strombedarf reduzieren, wenn die Stromproduktion aus Wind und Sonne kurzfristig zurückgeht. Auf diese Weise entlasten Fertigungsbetriebe die Netze. Damit sie dadurch keinen wirtschaftlichen Nachteil haben, erhalten sie eine Vergütung. Doch es gibt noch andere Möglichkeiten, Last- und Erzeugungsspitzen zu glätten. Dazu müssen Unternehmen gar nicht immer ihre Bedarfe in der Produktion anpassen, wie die GFaI-Forscher aufzeigen.

Vorhandene Freiheiten nutzen und den Verbrauch flexibilisieren

An vielen Produktionsstandorten werden die für die Fertigungsprozesse benötigten Energieströme, wie zum Beispiel Dampf oder Strom, in unternehmensinternen Versorgungssystemen erzeugt.  Ein Potential, das genutzt werden kann, um die für die Energiewende benötigten Freiräume zu schaffen: „Viele industrielle Energiesysteme bieten durchaus Flexibilitäten. Wenn zum Beispiel Strom und Wärme genutzt werden, können die verschiedenen Energieformen je nach Angebot am Markt verschoben werden“, sagt Dr. Stefan Kirschbaum, Leiter des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts „Flexibilitätswende“ an der GFaI.

Einige Industriebetriebe verfügen darüber hinaus bereits heute über Möglichkeiten, ihren Verbrauch zu flexibilisieren, zum Beispiel über Gasturbinen, Batteriespeicher oder Blockheizkraftwerke. Diese können sie nutzen, um den Bedarf an Strom aus dem Netz in Zeiten, in denen das Stromangebot knapp ist, zu senken. Für Standorte, die noch nicht auf solche Lösungen setzen, kann es sich ebenfalls durchaus lohnen, in die Technologien zu investieren, wie GFaI-Experte Joram Wasserfall erklärt: „Betriebe werden immer versuchen, Strom zu möglichst günstigen Preisen zu beziehen. Und der Preis ist niedrig, wenn das Angebot groß ist. Deshalb ist es für Unternehmen schon rein aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll, ihr Energiesystem zu optimieren.”

Mehr Preis-Flexibilität durch börslichen Stromhandel

Welche Potentiale an einem Industriestandort vorhanden sind, kann die Software TOP-Energy, die von der GFaI entwickelt wird, analysieren. Außerdem soll sie aufzeigen können, in welchen Fällen Anpassungen des Energiesystems sinnvoll sind. Denn den Eigenbedarf möglichst ideal zu managen, ist nur der erste Schritt. Zudem kann es für Unternehmen sinnvoll sein, Strom direkt an der Strombörse anstatt über außerbörsliche Verträge einzukaufen. Voraussetzung dafür sind möglichst genaue Prognosen zur Preisentwicklung.

Dabei soll die GFaI-Software ebenfalls helfen können: „Mit unserer Software können wir Szenarienanalysen erstellen. Sie erkennt nicht nur Potentiale, sondern analysiert auch Daten wie das Bietverhalten am Markt oder die Abrufe von Regelenergie und kann so Preisprognosen abgeben. Diese Daten dienen dann etwa bei Betriebsoptimierungen als Grundlage“, sagt Kirschbaum. Ein Thema, das angesichts der Klimaziele viele Unternehmen beschäftigt: „Wir beobachten, dass immer mehr ihr Energiesystem umstellen, um CO2 einzusparen. Dabei stellen sie sich auch die Frage, ob es sinnvoll ist, aktiv am Energiemarkt teilzunehmen. Die Software kann das beantworten“, erläutert Wasserfall.

Regelenergiemarkt als zusätzliche Einnahmequelle nutzen

Eine aktive Teilnahme am Energiemarkt geht oft darüber hinaus, den Eigenbedarf möglichst wirtschaftlich zu decken. Und auch der Regelenergiemarkt bietet Unternehmen Chancen, die über die kurzzeitige Abschaltung der Produktion hinausgehen: Wenn sie über Stromerzeugungskapazitäten verfügen, können sie bei hoher Nachfrage selbst Strom ins Netz speisen. Das kann ebenfalls eine lohnende Einnahmequelle sein – und die formalen Voraussetzungen dafür erfüllen viele Standorte: Sie benötigen eine Eigenstromproduktion und ein möglichst flexibles Energiesystem.

Die aktive Marktteilnahme scheuen den Experten zufolge trotzdem noch die meisten: „Dass Energie ins Netz eingespeist wird, ist zurzeit eher selten der Fall. Das liegt auch daran, dass die Hürden für die Beteiligung am Markt hoch sind“, sagt Kirschbaum. Oft mangele es vor Ort an erfahrenen Handelsexperten. Deshalb interessiert die Forscher auch, welche Marktanreize die Teilnahme für Unternehmen noch attraktiver machen können. „Unser Ziel ist es, auf Basis der Erkenntnisse aus dem Projekt individuelle Einzelfalllösungen erstellen zu können“, erklärt Kirschbaum.

Denn die Energiemärkte bieten Unternehmen ganz unterschiedliche Perspektiven, wie die GFaI-Forschenden aufgezeigt haben. TOP-Energy soll in der Lage sein, anhand der vorliegenden Daten für jede Anlage die beste Vermarktungsoption zu ermitteln. Die Förderung für das Projekt läuft noch bis Herbst 2022. Bis dahin wollen die Experten das System weiter optimieren: „Wir möchten uns auf jeden Fall noch weitere Marktmechanismen anschauen und die Software verfeinern“, kündigt Wasserfall an. So soll sie die Energiewende durch die Stabilisierung der Netze vorantreiben und gleichzeitig Erlöse für Industriebetriebe am Energiemarkt ermöglichen.

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