Der weiträumige Vorstaueffekt (engl. Global Blockage Effect, “GBE”, das heißt die Abbremsung und Umverteilung des Windes an und im Vorfeld von Hindernissen) ist ein heißdiskutiertes Thema in der Offshore-Windbranche. Dieser atmosphärische Effekt sorgt dafür, dass der Wind abgebremst wird, bevor er auf die ersten Turbinen trifft, aber an anderen Stellen beschleunigt wird. Das kann dazu führen, dass sich der Stromertrag von Offshore-Windparks verringert. Ein internationales Forschungsvorhaben mit gut einem Dutzend Partnern widmet sich dem Phänomen – und konnte zuletzt vier neue Partner hinzugewinnen: Die Energieunternehmen Ocean Winds, Ørsted und TotalEnergies sowie die Liegenschaftsverwaltung der britischen Krone, The Crown Estate, beteiligen sich an dem Projekt „Global Blockage Effect in Offshore Wind“ (OWA GloBE), unter der Leitung von RWE.
Mithilfe der neuen Partner können Messungen ausgeweitet und mehr Daten in diesem einzigartigen Projekt gesammelt werden. Es untersucht die Wechselwirkung von Offshore-Windrädern mit der Atmosphäre in zwei RWE-Windparks in der Deutschen Bucht. Im Fokus der Untersuchung: Wie weht der Wind durch, über und um einen großen Windpark auf dem offenen Meer.
In der Branche herrscht (breiter) Konsens, dass der GBE existiert. Umstritten ist allerdings, wie stark er ist und welche Auswirkungen das Phänomen tatsächlich auf die Stromerzeugung hat. Denn der Effekt ist nur schwach ausgeprägt und schwer zu messen. Aus vorliegenden historischen Messdaten lässt er sich nicht herauslesen.
Auch wenn der Effekt schwer zu erfassen ist, hat er dennoch wirtschaftliche Auswirkungen. Denn Ungewissheit über die Leistung von Windturbinen und Windparks kann höhere Kapitalkosten für Offshore-Standorte verursachen. Wird der GBE überschätzt, führt das zu einer finanziellen Abwertung von Offshore-Windprojekten. Die gesammelten Daten sollen deshalb auch helfen, verbesserte Modelle zu entwickeln.
„Die gesamte Offshore-Windindustrie wird von diesem Projekt immens profitieren, da es uns helfen wird, den Global Blockage Effect besser zu verstehen. OWA GloBE ermöglicht uns, bestehende Wissenslücken zu schließen und einen branchenweiten Konsens über einen Effekt zu erreichen, der einen großen Einfluss auf die Planung und den Betrieb von Offshore-Windparks hat“, erklärte Renske Ytsma, Head of Offshore Development Continental Europe bei RWE, in der jüngsten Veröffentlichung des Projektes, die die Erweiterung des Teilnehmerkreises und der Offshore-Messkampagne aufgreift.
Im OWA GloBE-Projekt werden Messungen im Windpark-Cluster Helgoland in der Deutschen Bucht durchgeführt, genauer gesagt in den RWE Windparks Nordsee Ost und Amrumbank West. Die beiden Windparks sind derzeit durch einen etwa vier Kilometer breiten freien Meeresstreifen getrennt, die so genannte „Kaskasi-Lücke“. Dort baut RWE aktuell den Windpark Kaskasi, der voraussichtlich Ende 2022 ans Netz gehen wird.
Die „Kaskasi-Lücke“ ermöglicht einen einzigartigen Versuchsaufbau, bei dem moderne Messmethoden wie zum Beispiel Dual Doppler LiDAR („light detection and ranging“, eine dem Radar verwandte Methode zur optischen Geschwindigkeitsmessung von Luft) mit Produktionsdaten der Windturbinen kombiniert werden. „Im Rahmen des GloBE-Projekts wird eine umfangreiche Messkampagne durchgeführt, die sowohl vom Ausmaß als auch vom Aufbau her einzigartig ist. Die gesammelten Daten werden wissenschaftlich ausgewertet um zu verstehen, wie sich der GBE auf den Stromertrag von Windparks auswirkt“, erklärte Jan Matthiesen, Direktor Offshore Wind beim Carbon Trust. Das Beratungsunternehmen unterstützt Firmen, Regierungen und Organisationen auf der ganzen Welt bei beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft.
Das Team des Carbon Trust unterstützt die Umsetzung des Projekts, an dem neben RWE und den neu gewonnenen Partnern die Windparkentwickler EDF Renouvelables, EnBW, Equinor, ScottishPower Renewables, Shell und Vattenfall, sowie die Forschungs- und Industriepartner DTU Wind Energy und Leosphere beteiligt sind.
Mithilfe der vier neuen Partner sowie der Kooperation mit zwei öffentlich geförderten Forschungsprojekten ist das Gesamtbudget inkl. Sachleistungen von 3,9 auf 5,9 Millionen Euro deutlich erhöht worden. Der Messzeitraum wurde um vier Monate verlängert. Das bedeutet, dass deutlich mehr Daten erhoben werden als ursprünglich vorgesehen.
„In der entscheidenden bevorstehenden Auswertungsphase können diese Daten zur Verbesserung bestehender Berechnungsmodelle genutzt werden, die zur Ermittlung der Finanzierungskosten für künftige Windparks dienen“, ergänzte Jan Matthiesen. Eine Gruppe von Fachleuten wird die Daten dann zur Überprüfung und Verbesserung verschiedener Berechnungsmodelle verwenden. Einige dieser Modelle sind bereits Grundlage für Investitionsentscheidungen, andere stellen die nächste Generation von Modellen dar. Mit ihrer Hilfe wollen Experten besser verstehen, wie der Wind in, über und um Windparks weht.